Auf haGalil greift der Autor Robert Schlickewitz ein interessantes Thema rund um das Armenierbild im Deutschen Reich auf. Ich begann mit großem Interesse den Artikel zu lesen und bemühte mich die sprachlichen und stilistischen Mängel des Autors zu ignorieren und mich vollständig auf den Inhalt zu konzentrierten.
Dies nützte jedoch wenig. Der Artikel ist nämlich mehr als misslungen.
Dabei beginnt er mit der vielversprechenden Ankündigung, dass dem Abdruck eines Originalberichts eines bayerischen Adeligen aus der damaligen Zeit, eine "Analyse" des Autors folge.
Das diese "Analyse" sich allein darin erschöpfen würde, zu behaupten, dass ein Genozid erst bei 6 Millionen Menschen beginne und die Ermordung der Juden im Nationalsozialismus "viel schlimmer" gewesen sei, als die "Verfolgungen" der "Armenier in der Türkei", hätte ich in einem türkischen Hetzblatt wie turkishpress.de erwartet, aber nicht im jüdischen Online-Portal haGalil.
Ich wurde eines besseren belehrt.
So heißt es in einer Passage:
"So furchtbar die Verfolgungen der Armenier in der Türkei auch gewesen
sind – ein Vergleich mit dem deutschen Genozid an sechs Millionen
europäischen Juden muss auch weiterhin ausgeschlossen bleiben, wie ganz
leicht an einigen rational nachvollziehbaren Argumenten belegt werden
kann."
Zur Begründung zeichnet der Autor einen vier Punkte Plan, woran diese Qualifikation zu bemessen sei:
- Die Tradition eines zwei Jahrtausende währenden christlichen Hasses, oder mit anderen Worten, die religiöse Komponente.
- Die, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, seit mindestens einem Jahrtausend betriebenen Judenverfolgungen durch Deutsche.
- Die ideologische Basis eines ausschließlich gegen Juden gerichteten
Rassismus‘, wie sie der deutsche Nationalsozialismus geschaffen hat.
- Der eliminatorische deutsche Judenhass mit seinen systematischen, industrieartig durchgeführten Massentötungen.
Es sind tatsächlich im 1.Weltkrieg 4,5 Millionen Armenier weniger ermordet worden als Juden im 2. Weltkrieg. Dies liegt daran, dass in der osmanischen Türkei "lediglich" ca. 1,8 Millionen Armenier gelebt haben.
Was die Quantität über die Qualität eines Verbrechens aussagen soll, mögen der Autor und die haGalil-Redaktion dem Leser erklären. Der "Anschein" ein anderer Genozid könne vergleichbar sein, scheint als Störung empfunden zu werden.
Wollen die haGalil-Betreiber jetzt tatsächlich propagieren, dass der deutsche Rassismus sich "ausschließlich gegen Juden" gerichtet habe? Was ist dann mit den ermordeten Zigeunern, Homosexuellen, Behinderten, Slawen und Kommunisten? Waren das Kollateralschäden, die mit dem deutschen Nationalsozialismus nichts zu tun hatten?
Wollen sie tatsächlich behaupten, dass die Vernichtung des armenischen Volkes kein "eliminatorisches Element der Massentötung" innewohnte? Ich frage mich dann, wo die ganzen Armenier geblieben sind.Wollten die Türken nur "Räuber und Gendarm" spielen? Haben sich die Armenier freiwillig in ein Erdloch verbuddelt oder in der Wüste versteckt?
Auf die beiden ersten Punkte des 4-Punkte Plans dürfte ich nicht weiter einzugehen brauchen, da jeder Mensch mit ein wenig Verstand weiß, dass selbst heute noch Christen in der Türkei verfolgt und ermordet werden. Aleviten inklusive.
haGalil scheint ein dickes Armenierproblem zu haben.
Von dieser Neid-Debatte, die Genozide in "schlimm" und "weniger schlimm" qualifizieren und dies nach der Anzahl der Ermordeten bemessen möchte, sollten wir uns weit fernhalten. Und von haGalil gleich mit.