Gedanken über die Religionsfreiheit
Kennen Sie Märchen? Ja? Ich auch! Mein Lieblingsmärchen war
„Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Aus einem ganz banalen Grund:
Damals war ich auch noch ein kleiner Zwerg und fand die Idee, dass so
ein Sahneschnittchen wie Schneewittchen bei mir wohnen würde ziemlich
gut. Wie ich die anderen sechs Zwerge loswerden würde, war mir damals
als 6 Jähriger noch nicht so klar, schließlich war ich de facto
Einzelkind und hatte die Gehässigkeiten unter Geschwistern nicht kennen
gelernt. Aber diese Frage hat sich ja, Allah sei Dank, erübrigt. Ich bin
jetzt groß. Und ich lese jetzt andere Märchen.
Zum Beispiel ein
Märchen mit dem Namen „Der Islam und seine sieben Zwerge“. Es handelt
von den sieben Zwergen des Islam, die in einem Land leben, das - so
behaupten die Zwerge - von bösen, intoleranten Wesen bewohnt wird. Von
großen, blonden und blauäugigen Wesen, die sogar islamophob sind. Und
stellen Sie sich vor, diese Wesen sollen dichten UND denken! Ja Sie
haben richtig gelesen. Denken!!! Allah möge ihnen ihre Sünde verzeihen!
Sie wissen ja nicht, dass schon Allah für sie denkt und sie folglich
nicht mehr denken müssen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dieses intolerante, islamophobe und gottlose –Verzeihung – allahlose
Märchenland heißt „Deutschland“. Unsere sieben Zwerge vertreten dort
eine große Gruppe von „Muslimen“. Das behaupten die Zwerge zumindest.
Denn diese Gruppe ist eigentlich so groß, dass unsere sieben Zwerge des
Islam nur einen Bruchteil dieser „Muslime“ vertreten. Deshalb sind sie
ja auch „Zwerge“. Logisch! Aber auch das ist eine andere Geschichte.
In diesem Märchen geht es darum, dass in Deutschland keine
Religionsfreiheit herrscht. Ja, Sie haben richtig gehört. In Deutschland
gibt es keine Religionsfreiheit! Und unsere sieben Zwerge des Islam
fühlen sich fürchterlich entrechtet und diskriminiert. Sie betrachten
sich sogar als Bürger zweiter Klasse. Ach, was rede ich da: Sie seien
Bürger dritter Klasse, wenn überhaupt. Denn sogar der Bulgare sei jetzt
in der EU. Diesem Mistvolk habe man bei der Sommerreise in die Türkei
immer die Markscheine in den Pass legen müssen und ihre Grenzsoldaten
hätten permanent stangenweise Zigaretten geschnorrt. Oder die blöden
Polen, die jetzt sogar ein Gewerbe in Deutschland anmelden dürfen um den
„Autohandel“ zu professionalisieren. Sie jedoch, die Muslime, seien nun
die „neuen Juden Deutschlands“. Auch das behaupten unsere Zwerge.
Ernsthaft!
Ja, ein trauriges Märchen ist das. Ich als Alevite
habe da ein historisches, möglicherweise genetisch bedingtes Interesse
an Geschichten und Märchen, bei denen es um unterdrückte Völker,
Ethnien, Glaubensgemeinschaften oder sonstige Gruppen geht. Klar, hat
doch meine Glaubensgemeinschaft, ja sogar meine Familie, viel Schlechtes
erlebt.
Ich leide da wie ein Straßenköter! Auch ernsthaft!
Gerade als Alevite geht es mir besonders ans Herz, wenn unsere sieben
Zwerge des Islam davon berichten, dass sie in Deutschland entweder gar
keine Moscheen bauen dürfen oder nur unter lautem Protest dieser
Deutschen. Oder wenn berichtet wird, welch' Leiden bei den Zwergen
entsteht, wenn die kleinen Töchter nicht bereits mit 12 Jahren verhüllt
werden können, ohne dass die Deutschen blöd kucken. Auch wenn die
kleinen Kinder bei Klassenfahrten nicht der Klassengemeinschaft entzogen
werden dürfen, sind unsere Zwerge sehr traurig.
Ganz besonders
traurig waren die Zwerge, als man auch in Deutschland „Karikaturen“
genannte Bilder eines barttragenden Menschen veröffentlich hat. Da wurde
die Religionsfreiheit ganz besonders böse eingeschränkt.
Die sieben Zwerge des Islam haben es in diesem deutschen Märchenland wahrlich nicht einfach!
„Der Islam und seine sieben Zwerge“ ist auch deshalb mein liebstes
Märchen, weil es der Realität in Deutschland diametral entgegensteht.
Und weil es ein wunderbares Lehrstück über Heuchelei, Scheinheiligkeit
und Doppelmoral der islamischen Verbände in Deutschland ist.
Fast vier Jahre lang durfte ich an Sitzungen der Deutschen
Islamkonferenz der Bundesregierung teilnehmen. Kein Märchen! Ich hatte
die wunderbare Gelegenheit die sieben Zwerge des Islam hautnah
mitzuerleben. Am Sitzungstisch, im Plenum, bei der Bundespressekonferenz
aber auch zu sechst in einem engen Regierungsaufzug. Dort, im engen
Aufzug durfte ich „hautnah“ miterleben, wie es um die Toleranz der
sieben Zwerge steht, wenn ihnen ein junger Alevite im Wortsinne „zu
nahe“ kommt. Ob ich ein Muslim sei, wollten sie wissen, mir die Antwort
regelrecht abnötigen. Falls ja, würden die Zwerge auch die deutschen
Aleviten repräsentieren. Falls nein, sollte ich verschwinden, da ich ja
dann rein begrifflich nichts mit dem Islam zu tun hätte. Irgendwie
logisch…wenn man das Denken eingestellt hat.
Die
Religionsfreiheit, welche die sieben Zwerge des Islam in Sinne haben,
ist ihre eigene Religionsfreiheit. Dabei merken sie nicht, dass sie in
Deutschland eine weitreichende, fundamentale Religionsfreiheit genießen.
Dort wo es Probleme gibt, z.B. bei der Frage nach der rechtlichen
Verfasstheit, also dem Status der Verbände, bei dem Bau von Moscheen,
generell bei der verfassungsrechtlichen Güterabwägung geht es nicht um
das „ob“ der Religionsfreiheit, sondern allenfalls um das "wie". Und bei
dieser Frage ist Deutschland – fast schon mit vorauseilendem Gehorsam –
engagiert und außerordentlich liberal. Es gibt in Deutschland mehrere Tausend(!) Moscheen. Es gibt tausende Imame, die ihrer Tätigkeit
nachgehen. Niemand hindert Frauen daran, ein Kopftuch zu tragen.
Muslimische Kinder werden nirgendwo in den christlichen
Religionsunterricht gezwungen. Kein Muslim muss an Weihnachten unter dem
Christbaum stehen und „Oh, du Fröhliche“ singen, auch wenn ich Aiman
Mazyek – einen der sieben Zwerge – gerne einmal unter dem Bäumchen sehen
würde. Niemand zwingt den Muslimen in Deutschland Essensregeln auf,
niemand schreibt ihnen vor, was sie zu denken haben. Auch wenn letzteres
in der Leugnung einer der fürchterlichsten Tragödien der Menschheit, dem
Genozid an den christlichen Armeniern im Osmanischen Reich münden kann.
Manchmal, ja manchmal wird sogar den Deutschen vorgeschrieben, was sie
über den Islam zu denken haben. Man versucht es wenigstens.
Ja
das alles zeigt eigentlich die „Toleranz“ dieser „Deutschen“ im
Märchenland „Deutschland“. Dennoch sind die sieben Zwerge des Islam
überzeugt, dass es in Deutschland keine Religionsfreiheit gibt, dass
Deutschland ein zutiefst islamophobes Land ist.
Wenn all dies
nur bedeuten würde, dass unsere sieben Zwerge des Islam ein wesentliches
Organ, das Allah ihnen gegeben hat nicht nutzen, also nicht mit ihrem
Hirn denken, dann könnte ich getrost so weiterleben. Dann wäre das nicht
mehr und nicht weniger als die Verschwendung von intellektuellem
Potential. It’s not my business!
Aber es bedeutet leider viel
mehr. Wenn der Zentralrat der Muslime, der Koordinierungsrat der
Muslime, der Islamrat, DITIB, ATIB, IGMG, VIKZ, mithin unsere sieben
Zwerge des Islam, tatsächlich behaupten, wegen all der geschilderten
Umstände gäbe es in Deutschland keine Religionsfreiheit, dann fällt es
mir schwer zu sagen, dass alles im Auge des Betrachters liegt und eine
Frage der Perspektive ist.
Nein, dass einzige was ich dann
noch kann, ist ein anderes Organ zu nutzen, dass Allah mir gegeben hat:
Ich kann dann nur noch meinen Magen entleeren!
So viel
Scheinheiligkeit, Doppelmoral und Heuchelei ist schwer zu ertragen,
insbesondere wenn die Freiheit der eigenen Glaubensgemeinschaft von
einigen dieser Organisationen oder ihrer Glaubensbrüder selbst massiv
eingeschränkt wird!
Aleviten, Christen, Juden, Schiiten oder
Atheisten haben in sunnitisch-muslimischen Ländern nicht einmal die
elementarsten Grundrechte. Wir reden hier nicht vom Grundrecht auf
Religionsfreiheit, wir reden vom Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit, vom Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit,
vom Grundrecht der Meinungsfreiheit, vom Grundrecht der
Versammlungsfreiheit, vom Grundrecht der Bewegungsfreiheit, vom
Grundrecht auf Eigentum, vom Grundrecht auf ein faires und
rechtsstaatliches Gerichtsverfahren und noch vieles mehr.
Ich
kann schon wieder einige hören: „Wir leben aber in Deutschland“ oder
„Wir können uns doch nicht auf das gleiche Niveau begeben.“
Ja. Richtig. Kein Einwand! Darum geht es in dieser Debatte jedoch nicht.
Wenn ein „Wohlstandsdeutscher“ sich nach dem üppigen und leckeren
Weihnachtsessen darüber beklagt, wie wenig und wie schlecht er in
Deutschland gegessen hat, stellt sich für jeden vernünftigen Menschen
mit Herz doch aber die Frage, wie der Charakter dieser Person in
Anbetracht von tausenden Kindern, die täglich an Hunger sterben, zu
bewerten ist. Wenn diese Person das auch noch öffentlich äußert, in
seiner Funktion als Vorsitzender von „Brot für die Welt“, der
„Welthungerhilfe“ oder der „Caritas“, dann muss dies doch erst recht
hinterfragt werden!
Zum Beispiel ein Verband wie DITIB, der
schon rein namentlich aber auch institutionell mit dem türkischen
Religionsministerium verbunden ist, kann sich doch nicht ernsthaft vor
die deutsche Öffentlichkeit stellen und bei jeder sich bietenden
Gelegenheit behaupten, wie schlecht es ihnen in Deutschland eigentlich
geht und dass sie keine Religionsfreiheit hätten.
Und niemand
in der Republik, schon gar kein Politiker hat genug Hintern in der Hose,
um sich solche Äußerungen mit Hinweis auf die Zustände in der Türkei zu
verbitten. Zustände, die einen direkten Konnex zu DITIB haben und auf
die DITIB sicher Einfluss nehmen könnte.
Wir sind alle
Erwachsen genug, um nicht mehr an Märchen zu glauben. Von meinen
Abgeordneten, Ministern und Kirchenvertretern erwarte ich als
Angehöriger einer tatsächlich entrechteten, echten religiösen
Minderheit, dass sie diesem Märchen ein Ende setzen und auf die wahren
Defizite in Sachen Religionsfreiheit in den Herkunftsländern so mancher
Islamfunktionäre hinweisen und Abhilfe einfordern. Richtig, wir wollen
uns nicht auf das Niveau muslimischer Bananenrepubliken begeben. Wenn
wir jedoch die Situation insbesondere der religiösen und ethnischen
Minderheiten in den muslimischen Ländern verbessern wollen, wenn wir
einen wahren arabischen oder besser noch muslimischen Frühling erleben
wollen, dann geht das nur mit der Einbeziehung unserer sieben Zwerge des
Islam in Deutschland und Europa. Nur wenn sich die offiziellen
Vertreter der Muslime in Deutschland und Europa eindeutig zu den
Grundfreiheiten und Menschenrechten in ihren Herkunftsländern bekennen
und diese einfordern, nur dann kann auch dort ein Umdenken allmählich
beginnen.
Schäbig ist es, wenn man so tut, als ob die echte Unfreiheit in der islamischen Welt einen gar nichts angeht.
Frech ist es, in Anbetracht dieser Unfreiheit die Rahmenbedingungen in Deutschland schlecht zu reden.
Zu hoffen bleibt, dass ich mich irre, unsere sieben Zwerge des Islam
sich als wahre Riesen entpuppen und endlich mal was Vernünftiges zum
gesamten Gemeinwohl beitragen. Aber auch das klingt eher wie ein
Märchen… und an die glauben wir ja nicht…oder?
Zum Autor:
Eser Polat ist Jurist und Mitglied im bayerischen FDP Landesvorstand.