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Montag, 6. Mai 2013

Ohanes Altunkaya - Istanbul am 24.April 2013 – das gemeinsame Gedenken mit türkisch-kurdischen Aktivisten war ein historischer Moment


98 Jahre sind vergangen, seitdem in Istanbul die politische, geistige und intellektuelle Elite der Armenier in der osmanischen Türkei am 24. April festgenommen und ermordet wurde. Dieser Tag markiert den Beginn des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts – den Genozid an den Armeniern. Anlässlich des 98. Jahrestages nahm am 24. April 2013 zum ersten Mal eine armenische Delegation aus der europäischen Diaspora (AGBU Europe) an einer Gedenkveranstaltung auf dem Taksim-Platz in Istanbul teil. An den von mutigen türkischen und kurdischen Aktivisten seit 2011 organisierten Gedenkfeiern nahm in diesem Jahr auch die europäische Menschenrechtsorganisation EGAM (European Grassroots Anti-Racist Movement) teil.

Rund 3.000 Menschen gedachten auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul/Türkei den 1,5 Millionen armenischen Opfern durch die jungtürkische Regierung in den Jahren 1915/16. Organisiert wurde diese Mahnwache  von der anti-rassistischen Bewegung "DurDe" ("Sag Stop"). Die Aktivisten sind wegen ihres Einsatzes täglichen Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt. Denn der Nationalismus in der Türkei ist keine Ausnahme von nationalistischen "Kreisen" oder "Randgruppen", sondern ein gesamtgesellschaftlicher Mainstream. Die "DurDe"-Mitglieder sind eine kleine, aber hoffnungsträchtige Bewegung in der Türkei, die aus Türken, Kurden, Armeniern und Aramäern/Assyrern aus der Zivilgesellschaft besteht, die sich gegen den vom Staat verordneten Rassismus stellen.

Historische Bedeutung

Die diesjährige Gedenkveranstaltung war in dreifacher Hinsicht von historischer Bedeutung: Zum einen hatte sich die Teilnehmerzahl um 50% zum Vorjahr auf den bisherigen Höchststand von 3.000 Teilnehmern erhöht.
Zum anderen hat sich zum ersten Mal eine europäische Delegation zusammengefunden, um gemeinsam mit den „DurDe“-Aktivisten den Genozid an den Armeniern inmitten Istanbuls zu gedenken.
Überdies war zum ersten Mal seit 98 Jahren eine Gruppe von Vertretern der armenischen Gemeinschaften  Europas, gemeinhin Diaspora-Armenier genannt, anwesend.



Delegation

Die Delegation bestand aus Mitgliedern der Bewegung EGAM („european grassroots anti-racist-movement“), angeführt durch ihren Präsidenten Benjamin Abtan, der AGBU Europe („Armenian General Benevolent Union - Europe“) angeführt durch Vorstandsmitglied Nicolas Tavitian, sowie des Präsidenten der AGBU Alexis Govciyan und der "DurDe"-Gruppe in Istanbul, angeführt von Levent Seneser. Die Teilnehmer waren demnach eine bunt gespickte Gruppe aus Vertretern der armenischen Gemeinschaft Europas - Franzosen, Türken, Kurden, Armeniern, Kroaten, Bosniern, Deutschen, Tschechen, Griechen, Rumänen, Sinti und Roma, Juden und Italienern.

Das mediale Interesse an der Gedenkveranstaltung war enorm, obwohl sich in einer 18 Millionen Metropole wie Istanbul lediglich 3000 Teilnehmer an einer Gedenkveranstaltung mitten in Taksim/Istanbul fanden. Kontroversen und Diskussionen mit dem türkischen Mainstream blieben dabei nicht aus. So stellte Benjamin Abtan, der  Präsident der EGAM, unerschütterlich stets klar, dass Völkermorde immer gedacht und verurteilt werden müssten, um andere Genozide zu verhindern.

Benjamin Abtan: „Vertreter armenischer Organisationen und die anti-rassistische Bewegung bilden diese Delegation und dies hier ist im Kampf für Menschenrechte und nicht für nationale oder sonstige Ziele. (...) Zehn Jahre zuvor wäre es unmöglich gewesen so eine Delegation mit dem Ziel, den armenischen Genozid in Istanbul gemeinsam zu gedenken, zu führen.“



Interessante Gesprächspartner

Die Delegation war 5 Tage in Istanbul und führte viele Besuche und Gespräche mit türkischen NGO's. Die meisten dieser türkischen NGOs positionierten sich im Gespräch unmissverständlich und eindeutig, ohne eine Form der Relativierung, zum Kampf gegen die Genozidleugnung/-relativierung der Türkei.

Allerdings gab es auch Gesprächspartner, die sich entweder aus fehlendem Mut oder sonstigen Beweggründen den armenischen Genozid nicht als solchen bezeichnen wollten. Auf Nachfrage hieß es bei einigen, dass der Begriff "Genozid" politisch aufgeladen sei und bei anderen, dass die Türken im Ersten Weltkrieg ebenfalls gelitten hätten. Diese revisionistische Gesinnung in der Türkei anzutreffen überraschte die armenische Delegation nicht, allerdings erwartete man sie nicht bei selbsternannten türkischen "Menschenrechtsorganisationen", die sich den Wahlspruch „Against the oppressor whoever s/he is, on the side of oppressed whoever s/he is“ auf die Fahne schrieben.

Heftige Reaktionen riefen sie bei Benjamin Abtan, Präsident der EGAM hervor: "Der Kampf um Menschenrechte ist immer politisch. Für die Wahrheit müssen wir immer kämpfen. Denn jegliche Genozidleugnung ist direkt verbunden mit Rassismus. Die Genozidleugnung bedient sich derselben Mechanismen wie ein Genozid. Die Genozidrelativierung/-leugnung ist daher eine Fortsetzung der Genozidpolitik. Es geht hier nicht um einen „Wettbewerb des Leidens oder der Schmerzen“, es geht hier wie auch in Bosnien und anderswo um 'objektive Wahrheiten'."

Die Delegation lud in der Sehir-Universität zum Thema „Genocide recognition: a step forward for democracy or a threat to Turkey?“ ein.  Es gab eine rege Teilnahme vieler Studenten, die an der Vortrags-/Diskussionsrunde teilnahmen. Nicolas Tavitian (AGBU) zeigte auf, dass man hier in der Türkei sei, weil man ein berechtigtes Interesse als Armenier habe und erzählte anhand alter Familienfotos seine Familiengeschichte. Seine Familie stammte nämlich aus Istanbul. Benjamin Abtan (EGAM)  rief die anwesenden türkischen Studenten auf, sich an dem Kampf für die Wahrheit zu beteiligen.

Die Delegation wurde sich über die Tragweite ihrer Reise am stärksten bewusst als sie am Ort der Ermordung von Hrant Dink stand und die von ihm gegründete Agos Redaktion sowie die ihm zu Ehren gegründete und von seiner Witwe geführten Hrant-Dink-Stiftung besuchte. Ein Agos-Mitarbeiter brachte die Ängste der armenischen Minderheit zum Ausdruck und erklärte, die Armenier in Istanbul versteckten und leugneten häufig ihre Identität, um nicht Anfeindungen, Hass und Übergriffen ausgesetzt zu sein. Selbst die Nachbarn wüssten oft nichts von ihrer Identität. Nach dieser Schilderung überraschte er dann damit, in dem er vorschlug, die "Genozid-Thematik", wie er es nannte, beiseite zu schieben und sich anderen Themen in der Türkei zu widmen. Er befürchte ansonsten, dass die türkische Gesellschaft in der Delegation ausländische, imperialistische Interessen vermuten könnte. Implizit schwingt in diesen Worten die Befürchtung mit, die armenische Gemeinschaft in Istanbul könne als Kollaborateure/Verräter verunglimpft werden. Dieser Vorwurf hat vor 98 Jahren zum Genozid geführt und die armenische Gemeinde ist wegen dieser rassistischen Stereotypen, die staatlicherseits geschürt werden, heute noch staatlichen Repressalien und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Die europäische Delegation verdeutlichte, dass man sich entschieden gegen jede Art des Rassismus stellen und überall für die Wahrheit eintreten müsse. 

Anschließend stellte uns Rakel Dink, die Gründer- und Leiterin der Hrant-Dink-Stiftung ein sehr interessantes Projekt vor - den „Hate-Speech-Report“. Es handelt sich um einen regulär erscheinenden Report über die Hetze in den türkischen Medien. Hier wird nicht nur die Hetze gegen Armenier dokumentiert, sondern generell jegliche Form des Rassismus, Fremden-, und Christenfeindlichkeit.  Gemeinsam mit der EGAM soll im Herbst dieses Jahres eine Konferenz zum Thema Hate-Speech in Istanbul organisieren. 

Besonders angeregte Gespräche waren jene, an denen die Teilnahme für jeden offen war (Open Doors Meetings) und man sich mit den Menschen aus der Gesellschaft austauschen konnte, die neugierig auf das Thema aber auch neugierig auf die Delegation waren.  


Ich bin froh und empfinde es als große Ehre auf Einladung des AGBU-Europe Präsidenten Teil dieser Delegation gewesen zu sein und davon berichten zu können. Es ist unbeschreiblich gemeinsam mit Türken, Kurden, Istanbul-Armeniern, Diaspora-Armeniern  und Vertreter der jüdischen, bosnischen, kroatischen Organisationen den Opfern von 1915 mitten in Istanbul/Türkei zu gedenken. Den lokalen Aktivisten gebührt mein größter Respekt, denn wenn wir in Europa uns für Menschenrechte und die Wahrheit einsetzen, können wir das aus einer Position der Sicherheit und des Schutzes tun. Aber diese Menschen hier haben einen mächtigen Gegner, nämlich ihren eigenen Staat gegen sich. Wir sollten so oft wie möglich die lokalen Gruppen in der Türkei besuchen und ihnen dadurch unsere Loyalität zum Ausdruck bringen. In Europa haben wir manchmal das Gefühl, dass wir uns im Kreise drehen, doch wir können durch diese mutigen Menschen wieder neue Impulse für unsere eigene Arbeit erhalten. Die langfristige Anerkennung des Genozids durch die Türkei steht und fällt mit ihnen.


Die gemeinsame Erklärung der EGAM, AGBU und DurDe ist hier zu finden:


Der Autor Diplom-Betriebswirt (FH) – Leiter des Arbeitskreis Frankfurt a.M. des Christlich-Alevitischen Freundeskreises, war von 2007-2009 Vorstandsmitglied des Zentralrats der Armenier in Deutschland und von 2009-2012 Generalsekretär des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland.


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AGBU-Europe: Seit der Gründung 1906 ist AGBU die weltweit größte und wichtigste gemeinnützige Organisation der armenischen Diaspora mit Hauptsitz in New York, USA. Die AGBU fördert die armenische Identität und das Erbe durch Bildungs-, Kultur- und Sozialprogrammen mit 400.000 Mitgliedern auf sechs Kontinenten. Die AGBU Europe koordiniert die verschiedenen Aktivitäten der einzelnen europäischen AGBU-Gemeinden auf pan-europäischer Ebene.

DurDe!: Die ‚Sag Stopp zu Rassismus und Nationalismus‘ (DurDe!) Initiative wurde im Februar 2007 gegründet um gegen Rassismus und Nationalismus vorzugehen. DurDe! Ist eine Grassroots Organisation und hat dementsprechend mehrere lokale Basisgruppen, unter anderem in Istanbul, Ankara, Izmir und Bursa. 

EGAM: Die ‚European Grassroots Antiracist Movement‘ repräsentiert die größten zivilgesellschaftlichen Anti-Rassismus-Organisation in über 40 Länder. Sie setzt sich aktiv für einen europäischen Kontinent frei von Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung ein. Der Anstoß für die Gründung EGAM‘s kam 2010 aus Frankreich von der Organisation ‚SOS-Racisme‘. EGAM bildet den Dachverband der lokalen, nationalen Antirassismus-Organisationen in Europa. 




1 Kommentar:

  1. Sehr gute Darstellung. hat mich gefreut! Nur die Wahrheit kann Menschen zusammenführen. Danke Ohanes!

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