Von Madlen Vartian
Stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Armenier in Deutschland e.V.
Verehrte Anwesende, liebe Mitglieder der armenischen Gemeinden, es freut mich sehr, Sie heute im Namen des Zentralrats der Armenier in Deutschland zum Gedenktag an die Opfer des Genozids von 1915/16 begrüßen zu dürfen.
Verehrter Herr Botschafter,Verehrter Herr Nietan,Verehrte Frau Dr. Platt, Lieber Herr Demir, Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages und des Landtages Hessen,
Liebe Mitglieder der aramäischen und griechischen Gemeinden, deren Schicksal so eng mit dem unseren verbunden ist, mit denen wir in der Heimat Freude und Trauer und auch die Erfahrung der vernichtenden Gewalt des Völkermords von 1915 geteilt haben und die heute wieder neben uns in der Diaspora leben.
Verehrte Damen und Herren,
die heutige Gedenkstunde wird einigen Stimmen jener zerstörten Kultur selbst Ausdruck verleihen.
Sehr herzlich darf ich mich bedanken bei den Künstlern, dem Chor des Klosters Geghard aus Armenien und seiner Dirigentin Frau Anahit Papayan , die diese Gedenkfeier nicht zuletzt mit der Interpretation einiger Werke des Komponisten Komitas, der durch Deportation und den Völkermord gegangen ist und schwer traumatisiert wurde, musikalisch gestalten werden.
Ein besonderer Dank gilt Frau Franziska Junge, die sich kurzfristig bereit erklärt hat am heutigen Abend die Rezitation aus den Erinnerungen der Überlebenden zu übernehmen.
Frau Junge, im Namen des Zentralrats der Armenier in Deutschland möchte ich Sie sehr herzlich hier bei uns begrüßen und Ihnen danken.
Besonders herzlich bedanken möchten wir uns auch bei Frau Dr. Kristin Platt, die gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Mihran Dabag maßgeblich am Aufbau des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr Universität Bochum mitgewirkt und damit ein bis heute einzigartiges Forschungsinstitut im Bereich der Publikation und Diskussion internationaler Forschungen zu kollektiver Gewalt, Holocaust und Genozid, ihrer Vorgeschichte, Durchführungsstrukturen sowie ihrer generationenübergreifenden Folgen in Deutschland begründet hat.
Mein Dank gilt sehr herzlich ebenso Herrn Bundestagsabgeordneten Ditmar Nietan, der in seinem politischen Wirken und Engagement erhebliches für die deutsch-jüdische Erinnerungsarbeit leistet und dem Stiftungsrat der Stiftung für die internationale Jugendbegegnungsstätte Auschwitz vorsteht.
Es ist für uns eine große Ehre, dass Sie alle heute an dieser Gedenkstunde teilnehmen.
Verehrte Damen und Herren,
wir haben uns heute hier versammelt,
um jener zu gedenken,
jene zu ehren,
die Opfer des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts geworden sind.
Wir wollen der Opfer gedenken, von denen keine Gräber zeugen,
an denen wir trauern könnten.
Die Orte des einstigen armenischen Lebens sind für uns
– 99 Jahre danach – noch immer unzugänglich.
Als Kind der 3. Generation nach der großen Katastrophe haben nur wenige meiner Generation die Möglichkeit gehabt den Erzählungen der Überlebenden, unseren Großeltern und Urgroßeltern, unmittelbar zu erfahren.
Entweder weil wir zu jung waren, um sie zu verstehen oder weil sie ihr Leben lang schwiegen.
Als junge Erwachsene versuchen viele meistens vergeblich die Erzählungen unserer Groß- und Urgroßeltern von unseren Eltern, Onkeln und Tanten, zu erfahren.
Was viele von uns als Antwort ist in der Regel ein großes Schweigen.
Mein Großvater soll nie über die Zeit der Vernichtung mit seinen Kindern gesprochen haben.
Seine Kinder haben nie erfahren dürfen, was er im Einzelnen als 5-Jähriger erlebt hatte.
Lediglich eine Erinnerung teilte er mit:
Als kleiner Junge soll er auf dem Schoss seines Vaters das armenische
Alphabet - das Ayp Pen Kim – gelernt haben.
Allein dieses Bild vermachte er seinen Kindern und Enkeln als Erbe.
Es ist jener Verlust, den er bildlich beschrieb.
Den wir von Generation zu Generation neu verspüren.
Ich spreche nicht armenisch.
Ich schreibe nicht armenisch.
Ich lese nicht armenisch.
Selbst mein Familienname war bis vor einigen Jahren nicht armenisch, sondern türkisch.
Nach dem Willen des türkischen Standesbeamten hätte ich bei meiner Geburt in Deutschland sogar einen türkischen Vornamen erhalten sollen.
Verhindern konnte dies mein Vater allein dadurch, dass er den türkischen Standesbeamten mit seiner unorthodoxen Art schwer einschüchterte und auf meinen Vornamen bestand
Das armenische Leben können wir seit 1915 nicht frei von Erklärungen erzählen.
Denn jeder Versuch einer Rekonstruktion, jede Form von Erinnerung wird noch heute als feindseliger Akt gegen die Türkei interpretiert.
Es geht inzwischen so weit, dass sogar versucht wird die Erinnerung selbst als Akt gegen die „Versöhnung“ und des „Dialogs“umzuinterpretieren.
Die Vernichtung der Armenier soll eingeebnet werden in ein namenloses Sammelsurium von „tragischen Ereignissen“, welche allen osmanischen Bürgern „in der damaligen Zeit“ wiederfahren sei.
Premierminister Erdogan beschuldigte erst gestern in seiner Ansprache die Armenier, sie sollten nicht allein an ihr eigenes Leiden denken, sondern auch an das der muslimischen Bevölkerung in jener Zeit.
Forderungen nach einer Historikerkommission machen seit Jahren die Runde.
Die Republik Armenien und die Türkei sollen ihre Probleme unter sich klären, heißt es.
Die Geschichte solle der „Versöhnung“ und dem „Dialog“ der beiden Völker nicht im Wege stehen, heißt es.
Doch von „Versöhnung“ ist in dieser „Versöhnungsrhetorik“ in der Regel nicht der Hauch einer Spur.
Unter dem Deckmantel positiver Begrifflichkeiten, die positive Assoziationen auslösen, wie „Dialog“, „Annäherung“ oder „Versöhnung“, wird vielmehr subtil der türkischen Propaganda der Weg nach Europa geebnet.