Donnerstag, 24. April 2014

Erdogans Danaergeschenk


„Es lässt sich nicht abstreiten, dass die letzten Jahre des Dritten Reiches, gleich welcher Religion oder ethnischer Herkunft sie angehörten, für Deutsche, Österreicher, Zigeuner, Juden und Millionen weiterer deutscher Bürger eine schwierige Zeit voller Schmerz waren. Eine faire humanistische und aufrichtige Haltung gebietet es, ohne Unterscheidung von Religion und ethnischer Herkunft jeglichen in dieser Zeit erlittenen Schmerz nachzuempfinden. 
(...) 
Ereignisse mit unmenschlichen Folgen, wie Umsiedlungen, bei denen während des Zweiten Weltkriegs Millionen von Menschen aller Religionen und Volksgruppen ihr Leben ließen, sollten kein Hindernis dafür darstellen, dass zwischen Deutschen und Juden Empathie aufgebaut wird und sie sich gegenseitig menschlich verhalten und begegnen.
(...) 
Die pluralistische Sichtweise, die demokratische Kultur und die Moderne erfordern, dass in Deutschland unterschiedliche Meinungen und Gedanken zu den Ereignissen von 1933-1945 frei geäußert werden. 
(...) 
Mit diesem Verständnis haben wir als Bundesrepublik Deutschland zur wissenschaftlichen Untersuchung der Ereignisse von 1933-1945 zur Einrichtung einer gemeinsamen Geschichtskommission aufgerufen. Dieser Aufruf gilt nach wie vor. Die Arbeit der deutschen, jüdischen und internationalen Historiker wird bei der Aufklärung der Ereignisse von 1939-1945 und bei dem richtigen Verständnis der Geschichte eine wichtige Rolle spielen. 
(...) 
Auch gedenken wir aller deutschen Bürger gleich welcher ethnischen und religiösen Herkunft, die damals unter ähnlichen Bedingungen ihr Leben ließen, mit Respekt. Mögen sie alle in Frieden ruhen.“

Was sich wie die kruden Thesen eines antisemitischen Kretins anhört, der aufgrund dieser Aussagen nicht nur von wichtigen Ämtern und Positionen, sondern sogar vom Vorstand des Neuruppiner Dackelzüchtervereins zurücktreten müsste und dem ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB drohen würde, ist das Statement des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zum 99. Gedenktag des Völkermords an den Armeniern. Selbstredend wurde vorliegend statt „türkisch“ deutsch und statt „armenisch“ jüdisch eingefügt.

Was Doppelmoralisten und Gerechtigkeitsverdrossene als Annäherung und Beileidsbekundung des türkischen Regierungschefs bezeichnen, ist lediglich das Aufpolieren der klassischen türkischen Leugnungsmaschinerie:
Es gab Tote auf beiden Seiten, zudem die türkische Dolchstoßlegende, dass Armenier die Osmanen verrieten. Außerdem hält Armenien seine Archive geschlossen und verweigert eine Teilnahme an einer gemeinsamen Historikerkonferenz.

Derartige Argumente, von denen sogar die „Neuen Rechten“ auf den Montagsdemos Abstand nehmen, sind Geschichtsklitterung  par excellence und mutieren nicht zu ehrlicher Anteilnahme und kategorischer Anerkennung, wenn sie mit neuen heuchlerischen Fraternisierungsgesten und verharmlosenden Formulierungen ausgestattet werden.
Jede Teilnahme an einer Historikerkonferenz stellt nicht nur die Faktizität des Völkermords in Frage, sie ist auch aufgrund jahrzehntelanger, detaillierter Aufarbeitung entbehrlich. Die entscheidenden Dokumente befinden sich im Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches und nicht in der Republik Armenien, die zum Zeitpunkt des Völkermords noch gar nicht existierte.

Es handelt sich, wie bei dem gesamten Statement Erdogans, um einen schlechten Bluff, von dem er weiß, dass ihn die Armenier nicht abkaufen werden, die Weltgemeinschaft ihm jedoch, nach seinen reaktionären und diktatorischen Eskapaden in den vergangenen Wochen, partiell Demokratiefähigkeit und Annäherungsbereitschaft bescheinigen wird.

Welchen Sinn hätte zudem eine Historikerkonferenz, wenn Historiker rudimentäre Menschenrechte, wie die im deutschen Grundgesetz verankerte akademische Freiheit, auf türkischem Boden de facto nicht genießen und Gefahr laufen, aufgrund „Beleidigung des Türkentums“, eingesperrt zu werden?
Ein Catch 22: nehmen internationale und armenische Historiker teil, relativieren sie den Völkermord, nehmen sie aus demselben Grund nicht teil, stellen sie sich nicht der Konferenz aus Angst vor Entlarvung.

Die Chimäre, türkische Wissenschaftler hätten ihrerseits, natürlich von dem breiten common sense der Historikerzunft unerkannt gebliebene, Dokumente, die die Faktizität des Genozids an den osmanischen Christen widerlegen, wollen jedoch diese vermeintlichen Beweise erst auf einer Historikerkonferenz veröffentlicht sehen, entzieht sich jeder Rationalität und Logik.

Die Aussagen des türkischen Regierungschefs zeugen nicht von Respekt vor den Enkelkindern der Ermordeten, sondern implizieren, dass die Urgroßeltern Verräter und Lügner waren. Ihr Opfer wird mit dem der mordenden, enteignenden und vergewaltigenden osmanischen Soldaten gleichgesetzt und das türkisch-armenische Leidenskonto auf Null gesetzt. Erdogans Statement ist keine Annäherung, sondern vielmehr ein Danaergeschenk.

Georgi Ambarzumjan
London, 24. April 2014

3 Kommentare:

  1. Der Name des Autors spricht schon Bände, noch mehr dieser zeitverschwendene Artikel.

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  2. Nichts Neues aus der Türkei. Ich kann nicht verstehen, wie manche Armenier sich über Erdoğans Meldung freuen. Bin ganz Ihrer Meinung!

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